Alle politischen Parteien ausser der SVP und der IP befürworten dieses "Stromgesetz", sowie die meisten Medien und praktisch alle Energie- und Umweltorganisationen ausser der Fondation Franz Weber und dem Grimselverein. Es gibt gute Gründe für das Gesetz, jedoch auch einige dagegen.
Der Abstimmungstext, über das wir bis zum 9. Juni abstimmen, umfasst im Abstimmungsbüchlein 36 Seiten und ist online hier zu finden: https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/2023/2301/de. Er enthält hauptsächlich drei Schwerpunkte:
Grosser Ausbau der Produktion von Elektrizität aus erneuerbaren Energien, ohne Wasserkraft (Artikel 2 auf Seite 50 Abstimmungsbüchlein). Bis 2035 und 2050 soll sie ca. das Fünf- respektive Sechsfache von heute betragen. Das wäre vor allem Photovoltaik und würde dann etwas mehr als den heute vorhandenen Wasserstrom und das Doppelte des heutigen Atomstroms ausmachen. Der Strom aus Wasserkraft soll in diesem Zeitraum nur wenige Prozente mehr als heute zulegen - was technisch leicht möglich ist ganz ohne Ausbau. Mehrere weitere Artikel betreffen Förderungsmassnahmen wie Abnahme- und Vergütungspflichten sowie Marktprämien zugunsten dieser Ziele. Der Neubau grösserer Gebäude (über 300 m2) soll grundsätzlich mit einer Solaranlage erfolgen, wobei deren Grösse hier nicht definiert wird.
Grosse Reduktion des Energieverbrauchs und leichte Reduktion des Elektrizitätsverbrauchs pro Person (Art. 3 auf Seite 51). Der Energieverbrauch pro Person soll 2035 43% weniger ausfallen als 2000, 2050 53% weniger. Der Stromverbrauch pro Person 2035 13% weniger als 2000, 2050 5% weniger. Implizit verlangen diese Forderungen die völlige Abkehr vom Atomstrom und die weitgehende Abkehr von fossilen Heiz- und Treibstoffen, jedoch enthält das Gesetz bis auf die wenigen Zeilen von Art. 3 und einige geforderten Effizienzmassnahmen keine weiteren Artikel mit Instrumenten zur Erreichung dieser Ziele.
Vergrösserung von Energiereserven, vor allem im Winter (mehrere Artikel). Vor allem die Sicherung von Winterstrom soll durch den Ausbau von vorhandenen 14 Speicherwasserkraftwerken und dem Neubau von zwei weiteren erfolgen (Liste auf Seite 85). Für diesen Ausbau der Pumpspeicherung müssten mindestens zehn der Staumauern mit viel Beton erhöht und einige Auen oder Gletschervorfelder geflutet werden. Rechtsmittel gegen diese Vorhaben sind nach wie vor vorhanden, werden aber teilweise eingeschränkt.
Was sagen die Organisationen? Pro-Argumente finden sich auf
www.stromgesetz.ch und
www.stromgesetz-ja.ch
(Energiestiftung), die hier nicht wiederholt werden. Kontra-Argumente
auf dem Portal der Gegenkomitees
www.stromgesetznein.ch:
Die Fondation Franz Weber
argumentiert mit Landschaftsschutz:
1. Nationale
Naturschutzgebiete sind bedroht,
2. Das Gleichgewicht zwischen
Schutz und Nutzung wird ausgehebelt, und
3. Windenergieanlagen
im Wald schaden Vögeln und Natur.
(Sicher richtig, jedoch ohne
Interessensabwägung z.B. mit Klimaschutzvorteilen für die
Natur.)
Eine Allianz gegen das Stromgesetz
argumentiert mit höheren Kosten, Datenschutz und Mitsprache:
1.
Massiver Netzausbau und höhere Stromrechnung,
2. Installation
von kommunizierenden "Smart Meter",
3. Neue
Strompreise im 15-Minuten-Takt,
4. Fernsteuerung von
Haushaltsgeräten und Solaranlagen, und
5. Mitsprache bei
Windparks in allen Regionen eingeschränkt.
(Die Hälfte dieser
Punkte scheinen jedoch sinnvoll.)
Das Naturkomitee
argumentiert mit Natur, Demokratie und besseren Alternativen:
1.
Das Stromgesetz ist Natur-zerstörend,
2. Das Stromgesetz ist
anti-demokratisch, und
3. Es gibt eine bessere Alternative ohne
Naturzerstörung. (zuerst vorhandene Flächen nutzen bevor
Grossanlagen gebaut werden.)
(Richtig, aber eine Frage des
Masses. Die Vorlage fördert Anlagen von lokalen
Elektrizitätsgemeinschaften, die sich in der Regel auf vorhandenen
Gebäuden befinden, und hat wenig mit solaren Grossanlagen
("Solarexpress") zu tun. Ohne die Vorlage könnten sogar
mehr Grossanlagen drohen.)
Die SVP argumentiert
gegen Solarstrom, Windstrom, Netzausbau, Abhängigkeit vom Ausland,
v.a. China, Umweltorganisationen, Aushöhlung von demokratischen
Rechten, Einschränkung von Beschwerdemöglichkeiten, höheren
Kosten, und Zuwanderung. Der künftig benötigte Strom soll durch den
Ausbau des Atomstroms erfolgen.
(Die meisten dieser Argumente
sind abzulehnen, auch wenn die SVP als einzige Organisation die
Abhängigkeit von China thematisiert. Dann aber Atomstrom zu fordern,
der ausländisches Uran oder Ähnliches bedingt und nur mit grossen
staatlichen Subventionen möglich ist, ist höchst widersprüchlich.)
Anhand der Zahlen in den Artikeln erfolgt über alles kein Wachstum des Energieverbrauchs, sondern eine grosse Reduktion, und sogar eine leichte Reduktion des Stromverbrauchs pro Person, durch Umlagerung von Atomstrom und fossilen Heiz- und Treibstoffen zu hauptsächlich Solarstrom. es ist leider zu befürchten, dass das Gesetz trotzdem zu Wachstum führt, ohne bei den schädlichen Technologien genügend Substitution zu erwirken. Es sind so nette Ziele (ähnlich den Klimakonferenzen), ohne dass Wege aufgezeigt oder Instrumente geschaffen werden für die Verbrauchsziele: Art. 3 scheint völlig nackt!
Selbst wenn die Sparziele erfüllt werden, genügen sie bei weitem nicht, um zu einer global gerechten Gesellschaft zu gelangen. Eine solche müsste mit viel weniger Energie als heute auskommen, da die Schweiz massiv über ihre Verhältnisse wirtschaftet und lebt. Hier wäre ein prinzipielles Nein gerechtfertigt, da die bereits heute erneuerbar produzierte Energie für eine solche Schweiz reichen würde. Das wird jedoch in Mitten unseres gegenwärtigen Reichtums kaum passieren.
Was könnte passieren:
Bei Annahme: Kommen die von Sparziele von Artikel 3 mindestens teilweise zum Tragen, oder nur die Produktionsziele von Artikel 2? Wird der grosse Ausbau der Photovoltaik zu so viel Winterstrom führen (Theo's Anlage produziert 38% ihres Jahresstroms von Anfang Oktober bis Ende März), dass nicht alle der Staumauern erhöht werden?
Bei Ablehnung: Bekommt in einer Neuauflage des Gesetzes der Natur- und Landschaftsschutz mehr Gewicht, oder erfahren SVP und Atomlobby eine Stärkung?
Das Gesetz, über das wir jetzt abstimmen, wurde vom letzten Parlament beschlossen. Das jetzige Parlament ist rechter und weniger grün. Deshalb ist zu befürchten, dass bei Ablehnung mit der Zeit Gesetze und Massnahmen folgen, die schlimmere Auswirkungen haben als die hier vorliegenden Landschaftsschäden. In diesem Fall ist ein Ja richtig.
Theo Schmidt, für den Vorstand Grüne Steffisburg, 22.5.2024