Für Beni

Beni stösst die Haustür auf. 

Atemlos. 

Der Sechsjährige ringt nach Luft. Er ist draussen herumgerannt. Hat gespielt, wie die anderen Kinder. Aber die Luft reicht dem kleinen Jungen nicht aus. 

Zuviel Ozon. 

Heute, bei schönem Wetter, bleibt Beni drinnen. Am Abend dann vielleicht? Der Kompromiss eines kleinen Menschen, der noch gar nicht begreift, was Ozon ist und warum es ihm den Atem stiehlt. Ein Kompromiss, den viele andere Kinder auch erbringen. Auch wenn sie noch nicht einmal wissen, warum Kompromisse gemacht werden. Er ringt nach Luft. 

Papi warum? 

Ja weisst du, das sind halt viele Autos, die gleichzeitig herumfahren. Vielleicht müssen. Erwachsene fahren viel herum. Auf immer mehr Strassen und mit immer grösseren Autos. Und viel mehr Motorrädern. 

Papi warum? 

Darf ich nicht draussen spielen? Nicht herumrennen? Nicht genug atmen? Husten? 

Dieses Kind ist einfach nicht kompromissbereit! Es ist gegen den Individualverkehr. Gegen die persönliche Freiheit jedes Einzelnen. Gegen Arbeitsplätze rund ums Auto, im Strassenbau. 

Aber Beni ist gegen gar nichts. Er schweigt und glaubt, das muss so sein. Niemand sagt ihm, dass er das Recht zum Atmen hat. Dass er nicht husten müsste. Dass er herumrennen darf. Dass da grosse Leute sind, die eigentlich alles besser wüssten. Die nach Kompromissen suchen. 

Ich bin Beni`s Grossvater. Und diese Geschichte ist nicht frei erfunden. Der kleine Mann ist auch nicht frei erfunden. Beni ist zwar jetzt zwei Jahre älter. Aber für ihn ist alles beim Alten geblieben. Husten, Atemnot. Nicht herumrennen wenn die Sonne scheint. Das Ozon. 

Nur die Autos, die sind mehr geworden. 

Ich werde ihm noch nichts sagen von Grenzwerten. Von einem Gesetz, das deren Überschreiten verbietet. Warum sollte ihn das interessieren? Es interessiert und kümmert ja sonst auch niemanden. Ist auch nicht so wichtig. Und Beni hustet. 

Ich habe geglaubt, dass ich hier bei den Grünen Kindern wie Beni eine Stimme geben kann. Weil ich weiss, was Ozon ist und woher es kommt. Dann habe ich geglaubt, da sind noch mehr. Mehr Stimmen für Beni. Und dann muss ich lernen, dass diese Stimmen sehr leise sind. 

Und dass diese Stimmen sagen: Kompromiss. 

Sie schauen Kindern in die Augen. Lächeln sie an. Denn alle lieben Kinder. Sie haben schliesslich auch Kinder.
Sie belügen sie und verraten sie. Kinder vertrauen den Grossen. Ich werde zum Verräter an meinem kleinen Grosskind. Was sag ich ihm, wenn es mich fragt:
Warum? 

Ich bin doch sein Grossvater.

Herbert Schweizer